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Erzählen. Von Rabelais bis Houellebecq
Studienorientierung mit der ZSB • Romanistik
Termin & Ort

Der Mensch ist ein geschichtenerzählendes Wesen. Denn ‚eine Geschichte zu machen‘ bedeutet, aus dem kontingenten ‚Chaos der Wirklichkeit‘, das uns überfordert, das unstrukturiert, vor allem aber nicht intersubjektiv verfügbar ist, eine ‚Ordnung‘ zu gestalten, die ihrerseits in hohem Maße interessegeleitet ist. Daraus folgt, dass das, was wir für Wirklichkeit halten, letzten Endes immer nur eine (vor allen Dingen sprachlich vermittelte) Vorstellung von Wirklichkeit ist, die sich zusammensetzt aus ‚Narrativen‘, also Erzählungen, deren Fiktionalität wir uns verdecken, die wir in der Latenz halten, um dafür Gewissheit, Sicherheit, Struktur zu gewinnen.

Neben solchen ‚Geschichten‘, die wir für wahr halten, erzählen wir uns aber auch solche, von denen wir erklärtermaßen wissen, dass sie nicht wahr sind: Fiktionen. Diese speisen sich mit W. Iser immer aus einem ‚Repertoire‘ der ‚Wirklichkeit‘ (wir erkennen etwa Stadtviertel oder Straßen von Paris in Honoré de Balzacs Romanen wieder), doch sie erschöpfen sich darin nicht. Denn fiktionale Geschichten sind mit Ju. M. Lotman nicht eine textuelle Nachbildung von ‚Welt‘, vielmehr stellen sie „ein Modell der unbegrenzten Welt“ (Die Struktur literarischer Texte, München 1972, 301) dar: sie konstruieren selbst eine Welt, die zwar Anleihen bei der ‚Wirklichkeit‘ macht, doch sie nicht in einem 1:1-Verhältnis in sich aufgehen lässt. Vielmehr befragt der fiktionale Text lebensweltliche Konstrukte des Denkens und Argumentierens: nicht allein indem er die Defizite lebensweltlicher Sinnsysteme affirmierend „abdichtet“ oder anklagend „aufdeckt“ (Iser), sondern indem er das Bewusstsein für die grundsätzliche Gemachtheit solcher Sinnsysteme schafft.

Narrative Texte sind dafür in noch höherem Maße gemacht als dramatische: der Roman als „welthaltigste“ Gattung kann mit Blick auf Raum, Zeit und Figurenarsenal weitaus mehr an ‚Welt‘ aufnehmen. Die Vorlesung nimmt am Beispiel ausgewählter Romane und Erzählungen das Erzählen selbst von der Frühen Neuzeit bis ins 21. Jahrhundert in den Blick. Dabei werden vor allem solche narrativen Texte behandelt, die auch Teil des Staatsexamenskanons sind: Madame de Lafayettes La Princesse de Clèves, Choderlos de Laclos‘ Les Liaisons dangereuses, Flauberts Madame Bovary, Sarrautes Le Planétarium und NDiayes Trois femmes puissantes.

Die Textauszüge werden jeweils als Scan in französischer Sprache mit Übersetzung zur Verfügung gestellt. Da die Textanalyse aber am französischen Original erfolgt, sind Französischkenntnisse sinnvoll.