
Vorlesung
So vielfältig wie die Lebenswelt, so vielfältig ist auch die Literatur. In den vergangenen Jahren hat sich auch die germanistische Literaturwissenschaft darum bemüht, diese Vielfalt in den Blick zu nehmen und den literaturgeschichtlichen Zugriff etwa um die Perspektiven von gender und Klasse, von Interkulturalität und Mehrsprachigkeit und dergleichen mehr zu erweitern. Der theoretisch wie inhaltlich anspruchsvolle Komplex von ‚Behinderung‘ und ‚Nicht-Behinderung‘ (dis/ability) wurde dabei allerdings nur vereinzelt aufgegriffen und untersucht. Dabei kennt die Geschichte der deutschsprachigen Literatur eine Vielzahl von Darstellungen von Menschen mit Behinderungen und verhandelt ihre individuellen wie gesellschaftlichen Aspekte. Überdies ist ‚Behinderung‘ nicht nur auf inhaltlich-stofflicher Seite von Relevanz; sie stellt die Literatur auch vor ästhetische, also Form-Fragen, die jeweils unterschiedliche poetologische Reaktionen provozieren. Ausgehend von theoretischen Überlegungen aus den internationalen Literary Disability Studies unternimmt es die Vorlesung, eine behinderte Geschichte der deutschsprachigen Literatur seit den 1770er Jahren bis in die Zeit der Weimarer Republik zu erzählen. Verhandelt werden zentrale Texte der deutschsprachigen Literatur, die von Jakob Michael Reinhold Lenz‘ Drama „Der Hofmeister“ (1774) bis zu Ernst Tollers „Hinkemann“ (1923) reichen. Einen Schwerpunkt zwischen diesen beiden dramatischen Polen bildet die erzählende Literatur des neunzehnten Jahrhunderts von der Romantik bis zum Realismus.