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Im Januar 2015 erregte die Abiturientin Naina mit einem kleinen Tweet große Aufmerksamkeit. Sie twitterte frustriert, sie sei fast 18 Jahre alt sei und habe »keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen«, könne dafür aber »ne Gedichtsanalyse schreiben«, und dies »in 4 Sprachen«. Die infolgedessen öffentlich geführten Debatten zur Gesellschaftsrelevanz literarischer Bildung entfalteten eine derartige Wucht, dass sich auch die damalige Bundesministerin für Bildung und Forschung, Johanna Wanka, herausgefordert sah, Position zu beziehen. Wanka betonte die Wichtigkeit der Vermittlung lebenspraktischer »Alltagsfähigkeiten«, aber, so ihr Zugeständnis an den Literaturunterricht, Gedichte seien dennoch zu lernen und zu deuten. Wanka schlägt bei allem Einstehen für literarische Bildung also gewissermaßen in dieselbe Kerbe wie Naina: Es gibt nützliche, gar lebensnotwendige »Alltagsfähigkeiten« für den Alltag, und es gibt Literatur und Deutung von Literatur für – was eigentlich?
Hier stellen sich die Ausgangsfragen unseres Seminars: Was überhaupt sind Alltagsfähigkeiten und inwiefern kann ästhetische Bildung als (Selbst-)Erfahrung – als ein eigener Zugang zu Denken und Fühlen, zu Erkennen und Können an (literar-)ästhetischen Kunstgriffen – solche Alltagsfähigkeiten ausbilden?
Das Seminar versteht sich als eine Einführung in Grundfragen der Ästhetik und ihres Stellenwerts für Individuum und Gesellschaft. Dazu rezipieren wir neben literarischen Kurztexten einschlägige philosophisch-literaturtheoretische Positionen (u.a. von Walter Benjamin, Hannah Arendt, Theodor W. Adorno, Michel Foucault, Julia Kristeva und Wolfgang Welsch). Wir werden diese Positionen mit aktuellen Debatten um das Potenzial literarischer Kompetenzen verbinden und insofern die strittige Frage der Gesellschaftsrelevanz literarischer Texte und ästhetischer Erfahrung weiter abschreiten.
Unterrichtssprache ist aufgrund des gesamtromanischen Radius Deutsch.
Die Veranstaltung findet in der Schellingstr. 33, RG Raum 4012