Zwischen 1870 und 1890 wächst die Bevölkerung in allen skandinavischen Hauptstädten um ungefähr das Doppelte. Das Aussehen der bis dahin recht beschaulichen Städte wandelt sich fundamental. Fabriken, Vergnügungsorte und Kaufhäuser prägen zunehmend das Stadtbild, der Verkehr nimmt zu, Menschenmassen schieben sich durch enge Gassen, bei Tag, aber, dank der großflächig und neu installierten Gasbeleuchtung, auch bei Nacht. Für die einen werden die neuen Großstädte zu Räumen unbegrenzter Möglichkeiten, zu Orten der Freiheit und des (intellektuellen) Vergnügens, andere wiederum zwingt lediglich die fehlende Arbeit auf dem Land zum Umzug in die aus dem Boden schießenden Elendsviertel. Aber egal, ob arm oder reich, der gesellschaftliche Struktur- und Lebenswandel stellt für alle eine phänomenologische Herausforderung dar und führt, wie es der Soziologie Georg Simmel ausdrückt, zu einer allgemeinen „Steigerung des Nervenlebens“.
Anhand kanonischer Texte zur Erfahrungswelt der modernen Großstadt werden wir im Seminar diese Transformationsprozesse nachvollziehen und danach fragen, welche Rolle der Literatur in dieser neuen Lebenswirklichkeit zukommt und inwiefern sich literarturästhetische und lebensweltliche Veränderungen gegenseitig bedingen.