
Sprache wird in dieser Vorlesung als ein „Merksystem“ vorgestellt, das komplexe humanspezifische Gedächtnisformen erst aufbaut. Sprache ist also mehr als nur ein Kommunikationssystem in der Art, wie es sich auch bei Tieren findet. Es handelt sich vielmehr um ein System, das geteiltes Wissen und geteilte Erfahrungen und damit sogenannte „shared minds“ und eine Theory of Mind (Fremd-bewusstseinsabgleich) herstellt. Sprache ermöglicht es beispielsweise, über den gemeinsamen gegenwärtigen Kontext hinauszugehen und über räumlich und zeitlich entfernte Kontexte und darüber hinaus über irreale Welten zu sprechen. Sprache erzeugt auf der Grundlage ihrer Strukturkomponenten somit Intersubjektivität, Objektivität und Metasprachlichkeit. Sprache liefert damit die Voraussetzungen für die Tradierung von Erkenntnissen. Sie ist das Instrument, mit dem Technik und Kultur als die Gesamtheit des tradierten Wissens auf- und ausgebaut werden können. Sowohl das Merk-system Sprache als auch Technik und Kultur stellen nicht zufällig das Alleinstellungsmerkmal des Menschen dar. Mit Sprache wird im Grunde ein überindividueller mentaler Superorganismus (Gesellschaft mit den Komponenten Technik, Kultur, Wissenschaft etc.) aufgebaut. Die Zusammenhänge zwischen der Entstehung und dem Erwerb von Sprache, der Entwicklung von humanspezi-fischen Gedächtnisformen (am Beispiel des semantischen Gedächtnisses, episodischen Gedächt-nisses und Arbeitsgedächtnisses) und der Entstehung des mentaler Superorganismen (wie sie durch die Medien gegenwärtig weiter ausgebaut und homogenisiert werden) sollen in der Vorlesung skizziert werden. Dabei wird auch auf den Verlust von Sprache (Aphasien), von Gedächtniskomponenten (bei Alzheimerscher Demenz und weiteren neurodegenerativen Krankheiten) und deren Folgen für die betroffenen Individuen eingegangen.